fluc
mittwoch 6. august 2008

IN DER KUBATUR DES KABINETTS
externer link Sabine Aichhorn, One night in Downtown L.A.
[ Multimediale Installation]

DJ jungerfinne [audionom]

"Sabine Aichhorn und die Downtown von Los Angeles"

Die Skyline von Downtown Los Angeles ist eine der meistgefilmten Stadtsilhouetten überhaupt; dies gilt insbesondere für die Nachtansicht. Hierbei wissen wir als Betrachter kaum etwas über diesen Stadtteil Downtown Los Angeles als solchen. Wir erinnern uns lediglich an Geschichten die David Lynch in „Mullholland Drive“, Michael Mann in „Heat“, Paul Thomas Anderson in „Magnolia“ oder Wim Wenders in „The Million Dollar Hotel“ und viele andere dort teilweise ansiedeln. Was wir also in Erinnerung behalten haben ist die Stadtsilhouette der so genannten Traumstadt Los Angeles.

Sabine Aichhorn ist an der Downtown von Los Angeles interessiert, an der vertical city der Skyskraper, im Gegensatz zu dem was Los Angeles eigentlich auszeichnet, nämlich die über viele Quadratkilometer vorherrschende Niedrigbebauung, die ihr die Bezeichnung horizontal city einträgt. Die Künstlerin baut diese vertical city, die aus relativ wenigen Wolkenkratzern besteht, nach. Sie ist das eigentliche Objekt ihrer künstlerischen Arbeit. Sie rekonstruiert die Hochhaussilhouetten aus Plexiglas und belegt sie mit privaten und nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Filmkadern. Dieses Modell beleuchtet sie und simuliert hierdurch eine nächtliche Stadtsilhouette, die sie wiederum in verschiedenen Blickperspektiven fotografiert. So entstehen Fotos der Silhouette, einzelner architektonischer Zusammenhänge und hoch aufgelöste Fotos, die die Kader und das abgebildete Geschehen abbilden. Hierbei geben die Kader der Filmstreifen die Raster der Architektur wider und erzeugen den Eindruck von Fenstern. Hiernach filmt sie das aus Super-8 entstandene Architekturensemble in 16 mm und baut es noch einmal mit diesem Filmmaterial und wiederholt den selben Vorgang. So entstehen noch einmal Photographien und ein Film des Modells.

Sabine Aichhorn interessiert sich für die Silhouette als Symbol der Traumstadt des Kinos, der Fernseh- und der Musikproduktionen und nicht für das reale Produktions-, Handels-, Transport- und Finanzzentrum in der Downtown der Millionenstadt. Symbol, verstanden als „Sinnbild“ oder „Bedeutungsträger, einer durch das Kino vermittelten Vorstellung. In diesem Sinne wird die Stadtsilhouette zum ikonischen, das heißt bildhaften Zeichen. Hierbei lässt sich seine Bedeutung nicht rational übersetzen oder interpretieren. Das Symbolhafte der Stadtsilhouette enthält einen Bedeutungsüberschuss, dem die Künstlerin sich in ihrer Arbeit widmet. Dieser abstrakte Bedeutungsüberschuss wird oft auch als Mythos beschrieben. Dieser Mythos liefert den Prospekt für die Arbeit.

Der Philosoph und Theoretiker Jean Baudrillard schreibt unter anderem über das Verhältnis zwischen Realität, Symbolen und der Gesellschaft. Seine Theorie ist bekannt dafür, das sie untersucht wie Bilder und Zeichen unsere Wahrnehmung beeinflussen. In unserem Falle erfahren wir nichts über die Realität von Downtown Los Angeles, sondern eine medial vermittelte Version, die uns von der Kulturindustrie Hollywoods geboten werden. In seinen frühen Schriften der 60er und 70er Jahre untersucht Baudrillard die symbolische Funktion von Gebrauchsgegenständen, die „reine Zeichen“ seien. Um wie viel mehr trifft dies auf ein visuelles Essential Hollywoods zu. Dieses Essential wird von Sabine Aichhorn dekonstruiert, das heißt durch die Verwendung von realem Filmmaterial, seien es Super-8, 16mm oder 35 mm differenziert. In dem Super 8 Modell werden private Filme verwendet, die sich mit der Lupe als solche erkennen lassen. Es wird also innerhalb der symbolischen Matrix ein persönliches und privates Anschauungsmaterial verwendet und veröffentlicht. Dieses Material entspricht nicht der Simulationszuschreibung Baudrillards. Sie dekonstruiert seine Theorie der „Simulation“. Seine Theorie diagnostiziert, dass heute die Bilder der Wirklichkeit, die vor allem über die Massenmedien vermittelt werden, wichtiger und wirklichkeitsmächtiger geworden sind als die Wirklichkeit selbst. Die durch die Medien simulierte Welt ist zur Scheinwelt, zum Simulakrum geworden, die in Form einer Hyperrealität die wirkliche Welt zunehmend verdrängt. Er betont, dass es unmöglich sei, Medien gesellschaftskritisch zu verwenden. Bereits ihre technische Struktur als starrer Sender ohne Kommunikationsmöglichkeit nach beiden Seiten mache sie unweigerlich zu Instrumenten der Macht.

Baudrillard spricht in diesem Zusammenhang von einer medialen „Rede ohne Antwort“, durch welche die eigene Tätigkeit der Konsumenten verhindert werde. Die Künstlerin antwortet auf die mediale Wirklichkeit, indem sie die Stadtsilhouette nachbaut und die These veranschaulicht und gleichzeitig positiv beantwortet, indem sie die Filmkader, von persönlichen und privaten Filmen als Matrix der Arbeit verwendet. Die Zeichencodes der modernen Städte –so Baudrillard- der Werbung und der Medien, geben nur noch vor, entschlüsselbare Botschaften zu sein. Genau dies haben wir mit dem Bedeutungsüberschuss und dem Mythos Los Angeles beschrieben. Indem die Künstlerin die privaten Filme zum Definitionsmoment der Matrix der Stadtsilhouette macht, versöhnt sie in ihrer Arbeit die Stadtsilhouette mit dem persönlichen und privaten Moment des Betrachters. Hierdurch wird das Signifikat zum Signifikant und somit ins Oppositionsverhältnis zum medial vermittelten Symbol gesetzt. Indem sie diese mit Super-8 Filmen gebaute Stadtlandschaft wiederum mit 16 mm abfilmt und diese erneut zum Ausgangsmaterial für die gleiche Stadtsilhouette macht geht sie diesen Weg konsequent weiter. Diese sehr gleichmäßigen Raster erzeugen und verstärken den Eindruck einer Matrix. Aichhorn spielt auf diese durch die Kulturindustrie Hollywoods suggerierte Matrix an und subvertiert sie, indem sie eigenes privates und nicht für die Öffentlichkeit produziertes Filmmaterial zur Grundlage nimmt und dieses Modell dann noch einmal abfilmt und wiederum fotografiert. Mit Hilfe der Fotografie erreicht sie im Modellzusammenhang eine zusätzliche Bedeutungsebene, die hinter den Fassaden und Klischees das Private freilegt und präsentiert.

Die von mir mit-kuratierte Ausstellung "Modelle - Allegorien des Realen" in der Kunsthalle Göppingen in diesem Jahr hat das Modell im Blick - die Künstler Xu Zhongmin, Won Ju Lim, Yuan Shun und Clemens Fürtler weisen in ihren Bildern aus Modellen ein neues, wenig fatalistisches Verhältnis zur Idee, zu den Möglichkeiten und zur Ästhetik des Modells auf. An Stelle der Melancholie angesichts einer verlorenen Ursprünglichkeit oder "Realität" tritt das selbstbewusste, eindrucksvolle Bilder hervorbringende Spiel mit Modellen der Wirklichkeit. Die Fotografien, Projektionen und Installationen der Künstler setzen Modelle ein als Zugang zu Welt, als Instrument von Wahrnehmung und Erkenntnis. Das Kunstwerk als das "künstliche" Bild oder als Modell ist einmal mehr Schnittstelle, Mittler zwischen Betrachter und einer imaginären, nichtsdestotrotz "realen" Welt. Das Modell ersetzt oder überlagert nicht die Realität, wie die "enttäuschten Heilsverkünder der Postmoderne", so Beat Wyss annehmen, es ist vielmehr Teil eines umfassenden Prozesses der Wirklichkeitsbildung - eine Wirklichkeit, die in Bildern, in Kunstwerken real wird. Dies tut Sabine Aichhorn ebenfalls und fügt dem Ausstellungsdiskurs den wesentlichen Moment der Filmbetrachtung als Modell hinzu. Hätten wir die Arbeit zu diesem Zeitpunkt gekannt, hätten wir sie gerne in das Ausstellungsvorhaben integriert.

Autor: Wolf Guenther Thiel


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